Wintersemester 2022/23 (mit Clara Wörsdörfer)
Was ist ein Panorama? Intuitiv weiß man, was gemeint ist, wenn von einer Panorama-Terrasse, Panorama-Karte, Panorama-Zeitungsrubrik, Panorama-Einstellung, einem Themenpanorama, Stereo-Panorama oder dem ‚Panorama von Paris‘ die Rede ist. Sollte man aber angeben, was allen diesen Phänomenen strukturell gemeinsam ist, wird es schwierig. Doch dafür – so die Arbeitshypothese dieses interdisziplinären Seminars – auch umso interessanter.
Kunsthistorisch steht der Ausdruck ‚Panorama‘ (von griech. pan/‚alles‘ und horao/‚sehen‘) für etwas ganz Bestimmtes, nämlich für ein oft monumentales 360°-Gemälde, das in einer eigens dafür vorgesehenen Rotunde präsentiert wird und von einer erhöht angebrachten Plattform aus betrachtet werden kann. Zu ihrer Blütezeit im 19. Jahrhundert boten die Panoramen einen spektakulären Blick auf Landschaften, Städte oder historische Ereignisse. Sie waren Attraktionen für ein breites Publikum. Wer sich den Eintritt leisten konnte, bekam hier einen runden Blick auf weite Welten – in der Regel solche, die (wie ferne Länder) nur für wenige oder (wie die Vergangenheit) für niemanden direkt erfahrbar waren.
In unserem Seminar nähern wir uns den verschiedenen Ausprägungen dieser kunsthistorischen Tradition (inklusive Diorama, Georama, Moving Panorama oder Kaiserpanorama), gehen aber zugleich der Frage nach den allgemeineren Charakteristika des ‚Panoramatischen‘ nach, wie es sich etwa auch in Filmen, Karten, Texten und speziell auch in Erzählungen manifestieren kann. Dabei konzentrieren wir uns exemplarisch auf zwei Fachperspektiven:
– zum einen auf die Kunstgeschichte mit der Leitfrage: Wie können panoramatische Kunstwerke allgemein charakterisiert werden – und was bedeutet es, ein Bild zu produzieren und zu betrachten, das dem Anspruch auf ‚Allschau‘ gerecht zu werden versucht?
– zum anderen auf die Literaturwissenschaft mit der Leitfrage: Gibt es neben dem erzähltheoretisch breit analysierten Erzählen ‚linearer‘ Vorgänge auch ein Erzählen in die bzw. der (Über-)Breite, sprich: ein panoramatisches Erzählen? Und wie wäre es kategorial zu fassen?
Auf den ersten Blick erscheinen diese Fragenkreise kaum verbunden. Doch je intensiver und konkreter man sich auf sie einlässt, desto größere und fruchtbarere Überschneidungen tun sich auf. Als Ausgangspunkt für die gemeinsame Erkundung bieten sich bevorzugt Konstellationen an, wo Panoramaliteratur und Panoramakunst sich explizit berühren, wie bei Kathrin Rögglas Text Bauernkriegspanorama (2020) und Werner Tübkes gleichnamigem Rundgemälde (1976–1987).
Gemeinsam mit Roman Mauer (Filmwissenschaft/Mediendramaturgie) ist zudem ein interdisziplinäres Symposium zum Thema Ende März geplant, das bei Interesse gern besucht werden kann.