Ekphrasis

Sommersemester 2023

Der Ausdruck ‚Ekphrasis‘ (griechisch: ἔκ-φρασις) wird heute oft im Sinn von ‚Gemäldebeschreibung‘ gebraucht, war jedoch in seinem antiken rhetorischen Ursprung weiter gefasst: als anschauliche Schilderung allgemein. Betrachtet man den ‚Ekphrasis‘-Begriff (und sein lateinisches Pendant ‚descriptio‘) selbst wie ein historisches Tableau, das zu beschreiben wäre, zeigt es sich als Wimmelbild mit vielfach überlappenden Motiven wie ‚Bildbeschreibung‘, ‚Kunstwerkbeschreibung‘, ‚Objektbeschreibung‘, ‚Zustandsschilderung‘, ‚literarisches Gemälde‘, ‚Wortbildnerei‘, ‚Bildpoesie‘, ‚sprachliche Visualisierung‘, ‚Verlebendigung‘, ‚Wahrnehmungswiedergabe‘, ‚Bilderzählung‘, ‚Bildbelebung‘, ‚Bildfiktion‘, ‚mimetisches Erzählen‘ oder ‚Darstellung von Dargestelltem‘. Offen bleibt auch, ob es sich dabei um eine eigenständige Textform oder um einen episodischen Einschub in größerem Kontext handelt.
Wie meist in solchen Fällen hat das Diffuse des Begriffs historisch viele Ursachen, gründet hier aber merklich schon im ‚Urmuster‘. Denn betrachtet man den paradigmatischen Ausgangspunkt der ‚Ekphrasis‘-Debatten in der abendländischen Literatur, die Schilderung des Achill-Schildes im 18. Gesang von Homers Ilias, so erweist sie sich zwar klar als Episode, abgesehen davon aber als verwirrend vielschichtig: nämlich einerseits als der sehr spezielle Fall einer Beschreibung des Vorgangs der Herstellung einer fiktiven Wimmelbild-Metallplastik durch einen handwerkenden Gott, andererseits aber als ganzes Füllhorn allgemeinerer und teils sehr differenter Möglichkeiten sprachlicher Belebung, Beschreibung, Visualisierung und Erzählung.
Mit Blick auf diese Lage geht das Seminar bewusst induktiv vor, hält die Definitionsfrage also zunächst offen und versucht in vergleichenden Analysen einschlägiger ‚Ekphrasis‘-Exempel und ggf. zugehöriger Abbilder bzw. Gegenstände zu erkunden, welche inhaltlichen, stilistischen und narratologischen Beschreibungsmuster des Beschreibens sich dabei herausschälen. Auf dem Programm stehen – außer Homer – Werke und Werkauszüge von Philostratos, Lessing, Winkelmann, Goethe, Wilhelm Heinse, Gottfried Keller, Wilhelm Busch, Adalbert Stifter, Oscar Wilde, Hermann Hesse, Oswald Wiener u.a.