Erzähltheorien im Medienvergleich

Sommersemester 2023 (mit Roman Mauer)

Wie funktioniert die Erzählanalyse in der Literatur und wie im Film? Wo finden sich Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede? Sei es im Normalfall (den es genau besehen nicht gibt) oder in Ausnahmefällen, wenn Romane oder Spielfilme zum Beispiel rückwärts, unzuverlässig, vielsträngig, anachronisch oder gar achronisch erzählt werden?
Handlungsordnungen, Zeitstrukturen, Erzählebenen, Perspektiven und Figurenkonzepte werden in Film wie Literatur mit Modellen der Narratologie untersucht, wofür die Analysekategorien den jeweiligen Mediengegebenheiten möglichst gut angepasst sein sollten. Verschiedene Theorieschulen verschiedener Fächer bieten hierfür in der Sache wie begrifflich teils dieselben, teils verschiedene Lösungen. Was wo am besten weiterhilft, wollen wir anhand konkreter Beispiele vergleichend untersuchen.
Das erzähltheoretische Interesse an der Schnittstelle von Literatur und Film verbindet Johannes Ullmaier (Deutsches Institut) und Roman Mauer (Filmwissenschaft/Mediendramaturgie) und leitet diese Master-Kooperationsveranstaltung.
Als die Erzähltheorie Anfang der 2000er Jahre in eine postklassische Phase eintrat und sich interdisziplinär sowie transmedial erweiterte, hat man Modelle und Begriffe, die mit Blick auf die Literatur entwickelt wurden, auch auf dem Film übertragen. Umgekehrt lässt sich auch bei der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie eine Offenheit für Konzepte aus der Filmtheorie konstatieren sowie (seit den Russischen Formalisten) der Versuch, über den Medienvergleich mit dem Film den Blick auf die literarischen Verfahren zu schärfen – nicht zuletzt im Gleichzug mit der literarischen Avantgarde, die sich von filmischen Techniken zu neuen Schreibweisen inspirieren ließ.
Vor allem der Medienwechsel – also jener Prozess der Adaption, bei dem eine Geschichte von einem Medium in ein anderes übertragen wird – bietet die Möglichkeit, die damit einhergehenden Veränderungen in den Erzählverfahren vergleichend zu analysieren und dabei die Unterscheidungsmächtigkeit und Produktivität verschiedener Theorien zu prüfen. Angesichts der heutigen Medienlandschaft, in der Geschichten über verschiedene Medien hinweg entwickelt und verbreitet werden, empfiehlt es sich, sich die formalen Eigenheiten und erzählerischen Stärken eines jeweiligen Mediums bewusst zu machen.