Wintersemester 2021/22
Der jahrzehntelange Boom der Narratologie hat große Fortschritte gebracht. Zugleich hat sich ihr Theoriespektrum und Gegenstandsfeld derart verbreitert, dass es inzwischen schwerfällt, sie zu überblicken oder eine gemeinsame Basis auszumachen. Zwar gilt Gérard Genettes strukturalistische Terminologie weithin als Standard, doch in der Lehr- und Forschungspraxis sind parallel auch Kategorien und Termini von Franz K. Stanzl, Mieke Bal, Eberhard Lämmert, Günther Müller, Wolf Schmid, Jochen Vogt u.v.a. präsent, vermehrt auch solche aus der Film-, Comic-, Serien- oder Games-Narratologie. Diese wirken teils ergänzend oder präzisierend, teils aber auch inkommensurabel oder redundant. Vor allem Einführungen, Lehrbücher und auch konkrete Werkanalysen stehen so vor dem Dilemma, entweder um einer kohärenten Systematik und Begrifflichkeit willen fruchtbare Entwicklungen und Differenzierungen auszuklammern oder um der adäquaten Repräsentation der Forschungsvielfalt willen die Konsistenz zu opfern, sei es durch ‚ausfransende‘ Systematik oder bloßes Kompilieren.
Ziel des Seminars ist es vor diesem Hintergrund, einige der einschlägig konkurrierenden Erzähltheorien und Lehrbuchstände so zu rekonstruieren, dass ihre Differenzen und Gemeinsamkeiten möglichst deutlich werden. Als Hilfsmittel soll die grafische Repräsentation und Exemplifizierung an überschaubaren Beispieltext(ausschnitt)en dienen, wobei vor allem Zeitaspekte in den Fokus rücken werden. Voraussetzung zur Seminarteilnahme sind die Bereitschaft, sich auf kategoriale Fragen einzulassen, und elementare Kenntnisse in PowerPoint.