Wintersemester 2021/22 (mit Frank Witzel)
Was ‚transmedial‘ genau bedeutet und wie es sich zu ‚multi-‘‚ ‚poly-‘, ‚inter-‘, ‚omni-‘, ‚hyper-‘, ‚pluri-‘ oder ‚cross-medial‘ verhält, ist bislang nicht völlig klar. Weder allgemein noch in der Narratologie. Ob die Vorsilbe sich auf bestimmte Einzelwerke oder ganze Gattungen bzw. deren Verhältnis zueinander oder rein auf die vergleichende Betrachtungsart bezieht; ob es um Erweiterungen oder eher um Überführungen in andere Medien geht; ob um mediale Parallelentwicklungen bzw. Wechselwirkungen bestimmter Stoff- und Motivtraditionen; um Grenzverwischungen zwischen Werk und Fortschreibung; um die Unabhängigkeit bestimmter Sujets oder Wirkungseffekte von ihrer medialen Konkretion; um das Ineinanderfallen traditionell getrennter Medientraditionen auf Displays und Konzernplattformen; um Tiefenstrukturen des Mediensystems oder um dessen historische Transformation insgesamt; vor allem aber, was mit ‚Medium‘ – in Abgrenzung etwa zu ‚Gattung‘, ‚Genre‘, ‚Kunstform‘, ‚Sprache‘, ‚Code‘, ‚Format‘ oder älteren, aber hartnäckigen spiritistischen Assoziationen – überhaupt gemeint ist, d.h. ob es primär als Übertragungskanal, Präsentationsmodalität, Code-Konfiguration oder Speicher- und Abrufbarkeitslogistik aufgefasst wird; ob dabei nur moderne Apparat-, Digital- oder überhaupt nur jeweils neueste Medien im Fokus stehen oder etwa auch vorzeitliche Höhlenmalerei und Ausdrucksgestik – all das scheint im kreativen Durch- und Nebeneinander der verschiedenen Theorieschulen und Fachdiskurse seit Jahrzehnten so konstant im Fluss und die Terminologie daher so volatil, dass es naheliegt, den Begriff ‚transmedial‘ statt als Werkzeug eher als Gegenstand der narratologischen Erkundung zu begreifen. Es geht dann weniger darum, welche Bedeutung nun die wahre sei, als darum, was ‚trans‘ beim Erzählen alles bedeuten könnte, d.h. von wo aus und wohin mediale Überschreitungen fallweise konkret möglich sind.
Dieser Frage in koordinierten Projektgruppen gemeinsam nachzugehen, ist Ziel und Weg des Seminars. Erst einführend an elementaren Mikrobeispielen, dann und zentral aber an einem komplexen und mit Blick auf diesen Fragenkreis besonders reichhaltigen Werk. Als solches empfiehlt sich in der deutschsprachigen Literatur der neueren Zeit kaum ein anderes mehr als Frank Witzels Hör- bzw. Hör-/Sehspiel Die apokalyptische Glühbirne von 2016. Denn es vereint nicht nur Sprache, Rollenrede, Text und Metatext, Geräusch, Musik, Narration, Narrationsbrüche und verschiedene Rahmen- und Diegese-Ebenen, sondern vollzieht dazu noch einen ungewöhnlichen Transfer in eine expandierte Form mit Bild, Film, Zeichnung, Schrift als zusätzlichen Schichten. Dadurch gewinnen mediale Relationen an Kontur, die sonst entweder nicht vorhanden oder – wie in Standard-Film- oder TV-Erzählungen – generisch unsichtbar (gemacht) sind. Freundlicherweise hat Frank Witzel sich bereit erklärt, Auskunft über seine Arbeit und die Produktion zu geben, so dass die Möglichkeit besteht, Genaueres über die Realgründe des Werkes, seine Entstehungsschichten und Transferstationen zu erfragen.