Sommersemester 2018
Ob und wie sehr ein Text als spannend wahrgenommen wird, hängt real so stark von subjektiven und situativen Faktoren ab, dass man fast meinen könnte, dieser selbst spiele dabei gar keine Rolle. Denn während der eine mit Herzklopfen seinen für alle anderen unendlich langweiligen Steuerbescheid verschlingt, kann ein anderer über einen laut prominenter Umschlagwerbung und tausend Kundenbewertungen irrsinnig spannenden Thriller nur gähnen. Und doch lassen sich durchaus Textstrukturen und -strategien identifizieren, die Spannungspotentiale eher generieren als andere – ob inhaltlich, dispositorisch, rhetorisch, erzählperspektivisch oder (wie beim Cliffhanger) formatbasiert. Ratgeber à la Spannend schreiben oder Spannung & Suspense behaupten, diese Strategien zu kennen. Aber gelten ihre „Spannungsformeln“ wirklich?
In der Übung soll es darum gehen, spannungsverdächtige Texte und Textpassagen aus verschiedenen Gattungen vom Märchen über Ballade und Novelle bis zum modernen Krimi zu rezipieren und dabei zu reflektieren, ob, wie, für wen und vor allem warum sie spannend wirken – oder eben nicht. Medienvergleiche zwischen Lese- und Vortragstext sowie zwischen Text-, Comic- und Filmversion können en passant erfolgen. Im Zentrum geht es aber darum, eine möglichst plausible und differenzierte Typologie zu entwerfen, die neben der Frage, wer der Mörder war und wie man das Publikum zum Pageturnen zwingt, auch weniger gängige, doch umso spannendere Spannungsfelder erschließt, etwa solche der ethischen Ambivalenz, der Wiederholung bzw. Variation, der (Komplexitäts-)Überforderung, der Beschleunigung bzw. Verlangsamung, des Ekels oder der Transgression.
Um der Spannung willen wird die Textauswahl hier nicht gespoilert.